Für Millionen Menschen in der DDR waren sie Luxus: Plattenbauten mit fließendem Warmwasser und InnenWC

Dietmar Bender

Nostalgikern der Plattenbauten bietet der Berliner Architekt Cord Woywodt eine Lösung. Er verkauft Bastelbögen von WBS 70 & Co.

Märkische Oderzeitung
12.3.2010
Von DIETMAR BENDER
Berlin. Ein Viertel der DDR-Bevölkerung wohnte Ende der achttiger Jahre in Plattenbauten, in 3erlin mit 700 000 sogar jeder weite. DDR-weit gab es sieben 3roßwohnsiedlungen in statticher Größe mit jeweils über W 000 Einwohnern. Obwohl ach der Wende die Kritik an solchen Neubausiedlungen sehr laut wurde, lebten die Bewohner zum großen Teil gern in ihrer „Platte“.

Dieses Phänomen beschäfigte den Architekten Cord Woywodt, der, in Celle aufgewachen, seit 1990 im Ostteil Berlins lebt. Er wollte für den Plattenbau eine Lanze brechen und kreierte 2002 einen Faltbogen mit zwei Plattenbautypen. Er wollte eher ein Zeichen setzen als hohe Verkaufszahlen erzielen. Heute hat er eine ganze Palette von Ost-Berliner Gebäuden im Angebot.

Die erste Berührung mit dem Plattenbau im Osten hatte Cord Woywodt 1987. Von West-Berlin aus, wo er in den achtziger Jahren Architektur studierte, besuchte er Bekannte im Ostteil der Stadt. „Sie waren gerade aus Prenzlauer Berg nach Hellersdorf in einen Plattenbau gezogen“, blickt er zurück. Alles sah so uniform aus. Um den Kindern die Orientierung zu erleichtern, hatte man Märchenfiguren an die Häuser gemalt. Dass er einmal eine Lanze für den Plattenbau brechen würde, hätte der heute 45-Jährige damals nicht gedacht.

Doch dann kam das Jahr 2001. is war für die Architekten kein Gutes. Die Aufträge brachen ein, aber immerhin – die Frage nach dem Umgang mit den Plattenbausiedlungen blieb. Sanierung, Veränderungen der Wohnungsrundrisse, Rückbau, Abriss – die „Platte“ war ein Thema in Architekturkreisen. Cord Woywodt hatte seinen ganz eigenen Zugang zum Plattenbau. Er besuchte öfter seine Freunde in Berlin-HeIlersdorf, lernte die Geschichte des Plattenbaus aus der Sicht der Bewohner kennen und erlebte, wie gern viele dort wohnten.

Er wollte diesem Phänomen auf die Spur gehen, einer Stahlbetonbauweise, die mit einem Gartenstadtprojekt in einem New Yorker Stadtteil 1910 begann und nach 1920 als .,Klassische Moderne“ die Abkehr vom Historismus einläutete. Zwischen 1926 und 1930 entstand eine erste BetonplattenSiedlung in Deutschland, als die noch heute existierende Splanemann-Siedlung in Berlin-Lichtenberg gebaut wurde. Doch der Hochhausbau in Plattenbau weise nahm erst nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Anfang. Ein erster Großp!attenversuchsbau entstand 1953 in Berlin-Johannisthal, die erste Hochhauspiattenhausiedlung in Hoyerswerda. Mit dem DDR-Wohnungsbauprogramm von 1972 begann die großflächige Bebauung von Marzahn und Hellersdorf.
„Der Plattenbau hatte nach der Wende ein schlechtes Image, dem wollte ich etwas entgegensetzen und der „Platte ein politisches Gewicht verleihen“, erzählt Cord Woywodt. Mitten in der Auftragilaute ging er deshalb in die Offensive. „Dann bastle ich mir eben die Arbeit selber, sagte er sich und kreierte einen Faltbogen mit zweien der gängigsten DDRPlattenbautypen im Maßstab von 1:400, nämlich WBS 70/11 (Wohnungsbauserie 70 als Elfgeschosser) und WHH-GT18/21 (Wohnhochhaus Großtafelbau mit einer Kombination aus einem 18- und einem 21-Geschosser).
„Eigentlich ist es ja absurd, solche Plattenbauten als Faltbogen zu gestalten, aber ich wollte mit dieser witzigen Aktion Aufmerksamkeit für die „Platte“ erlangen. Das hatte ganz und gar nichts mit Ostalgie zu tun“, erklärt Woywodt.
Bevor er die beiden ersten Faltbogenmotive gestaltete, beschäftigte er sich monatelang mit den Plattenbautypen, stöberte in Bauplänen und Büchern. 2002 ließ er 1000 Faltbögen drucken und ging ab Herbst in Souvenir- und Buchläden sowie in Museumsshops Klinken putzen. „ich war vom Erfolg völlig überrascht. Ich rannte überall offene Türen ein“, schaut er zurück. Seine Idee wurde schnell bekannt. Interessenten aus dem gesamten Bundesgebiet und sogar aus der Schweiz und Osterreich bestellten seine Bastelbögen. Das New Yorker Museum of Modern Art hat die Ausschneidebogen im Rahmen der Ausstellung „Destination: Berlin“ in seinen Design Store aufgenommen, um sie unter die Amerikaner zu bringen.

Bald war klar, er musste nachlegen. So kamen Gebäude der ehemaligen Stalinallee hinzu, ebenso wie der Palast der Republik, der nach seinem Abriss eine besondere Bedeutung erhielt, das Haus des Lehrers, der Fernseht= und das Café Moskau. Außerdem versuchte er sich mit der Schaubühne auch an einem Motiv aus dem Westteil der Stadt. „Doch die geht gar nicht“, musste er feststellen. Besser dagegen lief sein erstes Motiv, das außerhalb Berlins steht -das Bauhaus in Dessau. Hier schwang die Liebe des Architekten zum Bauhausstil mit.

Insgesamt gingen bislang über 40 000 Faltbögen an die Käufer, wobei die Plattenbauten (3,90 und 4,90 Euro), der Fernsehturm (6,90 Euro), der Palast (5,90 Euro) und das Bauhaus (6,90 Euro) am beliebtesten sind. Er vertreibt sie über seine Internet-Seite faltplatte.de

Nachdem sich Cord Woywodt mit seiner ,,Faltplatte“ einen Namen gemacht hatte, wurde er auch in der Architekturbranche als Platten-Experte betrachtet. Er arbeitete mit Wohnungsbaugenossenschaften in den Berliner Bezirken Mitte, Marzahn und Hohenschönhausen zusammen, um die Grundrisse von Plattenbauwohnungen Zn verändern. Zudem hatte er die Idee, für einen Bauherrn aus dem Material abgerissener Platten ein neues Privathaus zu bauen, aber das Projekt verlief im Sande.

Eigentlich stand der Verkauf seiner Faltplatten-Kollektion nie im Vordergrund, eher schon der Wunsch, mal eine Marke im Markt zu platzieren. Das ist ihm gelungen. Dass sich die ,,Faltplatte“ nun sogar selber trägt, freut ihn natürlich auch. Dabei hatte er in den vergangenen zwei Jahren keine Zeit, sich an weitere Motive heranzutasten. Erst jetzt will er wieder einen neuen Bastelbogen kreieren. „Ich werde es mal mit etwas komplizierteren Faltungen probieren“, verrät er. Aber über das neue Motiv schweigt er sich noch aus.